Wenn Bäume erzählen könnten, würde mancher aufmerksame Mensch vielleicht ahnen, dass auch sie ein Eigenleben besitzen, allerdings ein anderes, als es Menschen und Tiere haben. Wenn man ihnen in vollkommener Stille lauschen würde, wäre man vielleicht imstande, Geschichten über sie selbst wahrzunehmen. Möglicherweise könnte ein Baum erzählen:
Am liebsten bin ich ein Sommerbaum. Im Frühling bin ich verletzlicher als im Sommer, und das anstrengende Blättertreibens habe ich hinter mir. Während der Sommerwind mein dunkelgrünes Laub streichelt, strecke ich meine verästelten Zweige noch mehr aus und dehne mich, ich genieße die Sonnenstrahlen und den warmen Sommerregen. Ich zittere aber bei Gewittern. Wenn die gleißenden Blitze am Himmel zucken, fürchte ich mich vor Brandwunden. Niemand merkt, wie ich vor Angst schwitze und Tränen aus Harz sich aus meiner Rinde drängen, die möglicherweise zerstört werden könnte. Den Tieren, die auf einer mauswurfhügeligen Wiese weiden, kann ich Schatten spenden. Manchmal kommen auch Kinder, die sich an meine biegsamen Zweige hängen und schaukeln. Mein Stamm ist allerdings glatt und hoch, als dass mir noch jemand in meine Krone steigt. Für verliebte Menschen , die bei mir hocken, rausche ich besonders zärtlich. Es gibt aber auch Leute, die mir mit Messern Herzen und Buchstaben in meine harte Haut ritzen. Das tut weh. Dabei glauben sie, mich damit zu ihrem Vertrauten zu machen. Doch nur wenige denken darüber nach, dass es mir Schmerzen bereitet. Auch an diesen Stellen weine ich Harz.
Ich fürchte mich ein wenig vor dem Herbst. Wenn meine Blätter sich verfärben, werden sie mich kurz darauf verlassen. Allerdings weiß ich auch, dass ich damit eine Last abwerfe. Dann können sich meine Zweige sich heben, und Regen und Wind werden mich säubern.
Doch ich bin jetzt ein Baum im Sommer. Meine saftigen Blätter rauschen leicht mit dem Klang des Juliwindes. Ich weiß, dass jetzt meine Zeit ist.