Impressionen bei Tagesanbruch

Im Morgengrauen sind sie auf dem Heimweg. Die aus der Nacht kommenden Berufstätigen sitzen sich in der Straßenbahn schweigend gegenüber, schauen verschlossen vor sich oder schieben nur ab und zu Blinzelblicke durch die halbgeschlossenen Lider. Morgens sehen ihre Gesichter ausgelaugt und ausgewrungen aus, und Grauschleier der Erschöpfung hängen unter ihren Augen. Die Fahrgäste kennen sich, ohne befreundet zu sein, sie kennen sich, ohne dabei zu wissen, wer der andere ist. Sie sind eine übermüdete Gemeinschaft. Abgekämpft steigt ein Arbeiter der Eisenhütte ein. Seine leere Brotdose und die Thermoskanne sind in seiner alten Ledertasche. Er gleitet auf einen freien Sitz und schläft oberflächlich ein.

Ihm gegenüber hockt ein Angestellter von der Wach- und Schließgesellschaft, ein verschlossener Mann mit Arroganz im Gesicht, hinter der er seine eigene Angst versteckt hält.
Ihren Schichtdienst beendet hat auch eine Krankenschwester. Sie hat am Ende der Nachtwache ihr abgenutztes Lächeln in ihrer Kitteltasche hängenlassen.
Die S-Bahn verlässt den unterirdischen Teil. Sie trägt die Nachtarbeiter in den frühen Beginn des Morgens und bringt sie in den Bereich, in dem der Tag schon wartet.
Zerrissene Nebelfetzen flattern vor den Fenstern der Straßenbahn. Die Gullys atmen dünne, weißliche Fahnen aus.
Ein Reinigungswagen kehrt die Einkaufszonen. Schaufensterpuppen blicken finster durch die geschlossenen Fenstergitter der Geschäfte, während ein Kleintransporter die ersten Brötchen ausliefert. Neben ihm packt ein Kioskbesitzer die gebündelten Tageszeitungen aus.
Über dem Kanal hängt der blass rote Sonnenball, der noch in einem Schleier aus Dunst geborgen ist. Hochhäuser und Fabrikhallen bilden den Horizont der Stadt, und das Morgenlied der Vögel wird übertönt durch die zunehmenden Geräusche des Berufsverkehrs. Das dünne Läuten einer Kirchenglocke begrüßt die frühe Stunde.
Im Laufschritt nähert sich ein junger Mann der Haltestelle Nummer 7. Er springt in die Bahn und hebt im Überschwang seiner Gefühle eine Sektflasche und ein Glas hoch. Er sucht Menschen, die seinen Stolz und seine Freude teilen. Er ist in dieser Nacht Vater geworden, und das Ende der Nacht ist für sein Neugeborenes der Beginn des Lebens. Für ihn und seine Frau ist es der Beginn eines neuen Glückes.
Die letzten Nebelschleier reißen auf, und im hellen Morgenlicht zeigt sich der neue Tag.

 

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